Die Lehre

Am Ufer des Meeres sah ich eine Mutter sitzen mit ihrem Kinde.

Das Kind spielte im Sande mit Muscheln und bunten Steinen.

All sein Spiel aber war ein Wählen und Verwerfen.

Sind wir nicht selbst derart spielende Kinder?! -

Wir wählen und verwerfen, und treiben es so durch Jahre und Jahrzehnte, bis wir zum Ende rüsten.

Ist nicht der gleiche Trieb das Treibende, der jenes Kind mit Muscheln und Steinen spielen ließ?! - Hier wollen wir verweilen!

Wir werden an dieser Stelle den Sonnenaufgang sehen.

Weshalb sollten wir um die Erde reisen durch die Nacht, der Sonne nachzulaufen?

Schon haben wir den Menschen gefunden, der selbst sich Frage, selbst sich Antwort ist.

Wählen und Verwerfen ist sein Tun.

Du wirst den Menschen nie bei etwas anderem finden!

Freilich wird er dir große Gründe nennen, wenn du ihn fragst, weshalb er das tut.

Der Mensch belügt sich aber nie so sehr, als wenn er selbst die Gründe seines Tuns ergraben will ... Aus gleicher Tiefe quellen die Impulse für das Spiel des Kindes wie für alle Tat.-

Hier wie dort ist im tiefsten Grunde der Wille zur Freude zu finden!

Letzte Lösung wird er vielen Rätseln.

All deine Gedanken und Taten sind deine „Muscheln" und „bunten Steine".

Nach deinem eigenen Werte wirst du wählen und verwerfen. -

Bald wirst du erkennen, dass vieles „verwerflich" ist, da es zu bleibender Freude nicht taugt.

Aber gar viele „bunte Steine" schichtest du doch zu Haufen, und dein Auge erfreut sich an ihnen für einige Zeit.

Dann aber wirst du des Spielens müde. Du lernst Werte unterscheiden.

Edelsteine möchtest du finden und echte Perlen, - nicht nur leere Muscheln und bunte Kiesel ...

Zuerst entfällt dir der Mut.

Du siehst deine erste Freude an deiner Erkenntnis sterben. -

Umdüstert streift dein Auge über den Sand.

Doch siehe: - dort leuchtet etwas zwischen den Kieseln!

Eilend wirfst du deine bunten Steine beiseite um jenes Leuchtende zu erlangen.

Du findest deinen ersten Edelstein!

Von diesem Tage an bist du weise geworden!

Du wirst nicht mehr an Kieseln deine Freude finden, die nur glänzen solange sie das Meer umspült.

Von heute an wirst du vieles verwerfen von dem, was deinem Auge reizvoll erscheint, und wirst nur nach dem wenigen suchen, das dauernd leuchtet.

So verlangt es der Wille zur Freude:

Freude ohne Enttäuschung,

Freude ohne Unterlass,

Freude ohne ein Ende!

Du wirst nun fragen:

„Wenn diese Lehre die Wahrheit birgt, woher dann - das Leid? -"

Und ich antworte dir:

Leid ist der Freude Bedingnis und Unterpfand!

Alles im Kosmos lebt aus polaren Gegensätzen.

Klein und groß, nieder und hoch, Leid und Freude, Lüge und Wahrheit, Schwäche und Kraft, - daraus lebt alles Leben!

Ohne das Leid könnte die Freude nicht zu sich selber kommen, denn alles Trennen und Teilen schafft Leid:- Trennung und Teilung aber ist vonnöten, damit Freude sich in allen Formen offenbaren kann, die ihr unendlichfältig verschiedenes Wirken braucht, aus dem alles Leben sich erhält.

Aber dein Wille zur Freude wird dich im Leid die Lüge sehen lehren und dir so das Leid ent-werten.

Leid und Freude brauchen einander, aber Leid und Freude bekämpfen auch einander ohne zum Frieden zu gelangen.

Leid wie Freude wollen deine Kräfte an sich ziehen.

Leid wie Freude wollen durch dich gewertet werden.

Soviel du der Freude Wert beimessen wirst, soviel Wert entziehst du dem Leid, - bis es dereinst zum willigen Diener deiner Freude wird!-

Ich rate dir gewiss nicht, allem Ungemach feige zu entfliehen!

Der Wille zur Freude will den Menschen oft durch trübe Schicksalschluchten zu hellen Höhen führen ...

Aller Sieg braucht Kampf. Kampf heißt: Wunden erleiden und Wunden schlagen!

Leid wird dir durch Andere kommen und du wirst Ursache werden für der Anderen Leid.

Hüte dich aber in deinem Willen zur Freude, auch an den Wunden dich zu erfreuen, die du im Kampfe schlagen musst!

Du sollst dein Leid in Fesseln legen, wenn es dich nutzlos leiden macht.

Wo aber dein Leid zum Kampfe fordert, dort sollst du dir den Sieg erkämpfen!

Alles Leid ist Lüge!

Alles Leid geht dereinst unter in der Wahrheit!

Das Leid ist nichts Bleibendes!

Nur die Freude ist ewig, weil sie der Ewigkeit entstammt! Alles Leid ist dein Gegner und Widerpart!

Alles Leid musst du binden und zum Dienen zwingen, damit die Freude frei sei und herrsche!

Du sollst jedoch dein Leid nicht hassen!

Hass ist die Farbe der Ohnmacht.

Der Wille zur Freude aber wird dich die Liebe des Siegers lehren!

Im Willen zur Freude wird dir alles leicht.

Du hast des Lebens wirkensgewaltigste Macht zur Seite!

Auch einer, der dem Leide Zuwachs schafft, strebt heimlich nach Freude ...

Sein Wille zur Freude ist zwar gefesselt, und dennoch bleibt er Quelle der Kraft.

Wille zur Freude zeugt alle Tat!

Wille zur Freude erhält alles Leben!

Wähle du selbst, ob, als betrogener Kämpfer, du dem Leide dienen willst, - oder - als Sieger - das Leid überwinden?!

Du kannst nur dann unterliegen, wenn du vor dem Leide Furcht bezeugst!

Zum furchtlosen Sieger aber will dich der Wille zur Freude vollenden!

Du findest den Willen zur Freude am Werk in allem Dasein.

Form und Maß will der Wille zur Freude, damit die Freude geboren werden könne aus der Liebe.

Liebe ist Streben nach Einigung alles Ent-zweiten!

Liebe allein zwingt Hass zum Dienste!

Liebe vereinigt alles Entgegen-gesetzte!

Aus der Liebe allein kann Wille zur Freude die Freude zeugen!

Wille zur Freude ist männlicher Wille, - er bedarf der Gebärerin: - der Liebe! -

Ohne Liebe wäre der Wille zur Freude wie ein ruheloser Verdammter ...

Liebe erst gibt ihm Ziel und sichere Richtung.

Liebe schafft Ausgleich zwischen gegensätzlichen Polen.

Liebe ordnet alles Kleine dem Großen ein.

Liebe einigt Wert und Unwert nach ewigen Gesetzen in umfassender Einheit.

Jeder Unwert ist ihr lieb um des Wertes willen, dem er dienen muss, - denn es gibt keine isolierten Werte und Unwerte im Bereich der Wirklichkeit.

Ungleichen Ranges, bedingen doch Wert und Unwert immerdar einander.

Alles was wachsen will, muss Wert und Unwert zu vereinen streben.

Alles Lebendige braucht Vereinigung ungleicher Teile in der Liebe.

So nur erwächst das Bleibende!

Du siehst die Menschen sterben und du fragst:

„Wo ist hier nun das Bleibende?! -"

Frage lieber:

„Wo ist hier das Vergängliche?!"

Die liebsten Menschen sah ich sterben, und nichts Vergängliches konnte ich finden.

Betrachte, was zurückblieb von allen, die auf dieser Erde lebten, und du wirst nur neue Einigung der Teile gewahren, soweit dein äußeres Auge sieht!

Wer will dir dort, wohin dein Erdenkörperauge nicht zu sehen weiß, etwa Vergängliches zeigen??

Dorthin, wohin zu sehen es nicht taugt, sah es auch damals nicht, als die dir nun entrückten Menschen noch deinen Sinnen fassbar waren.

Deine Sinne hatten ehedem dir nur gezeigt, dass da etwas Bestimmtes sei, von dem dir nur die Wirkung auf deine Sinne Kenntnis gab.

Glaubst du nun das vernichtet, was du voreinst seiend wusstest, als es noch auf deine Sinne wirken konnte, - dann bist du wahrhaftig nur ein „Sklave" deiner Sinne! -

Auch alle Totentrauer entstammt nur dem Willen zur Freude, der sich in Ohnmacht findet, das zurückzuholen, was ihm als Anlass der Freude entschwunden ist.

Trügerisch betört dich diese Trauer, will sie dir den Glauben an das Dasein derer nehmen, die dein körperliches Auge nicht mehr sehen kann, weil es nur Körpersinnenfälliges zu sehen tauglich ist.

Dich selbst kannst du betrauern, weil du einer Täuschung erlegen warst!

Nur was die Sinne deines Körpers berührte, hattest du für das Seiende gehalten...

Nun musst du sehen, dass die vergängliche Freude am Sinnenfälligen des Menschen etwas sehr wesentlich anderes ist, als die bleibende Freude am Menschen selbst.

Nun musst du erkennen lernen, dass alle „Sichtbarkeit" nur unsichtbarer Wirklichkeit zeitliches Zeugnis ist.

Alle Wirklichkeit wirkt aus dem Unsichtbaren!

Willst du die Wirklichkeit des Menschen finden, so wirst du sie nur im Unsichtbaren, durch dein Unsichtbares erreichen können! -

Du darfst der Sichtbarkeit zwar vieles, aber nicht alles glauben!

Du musst die Sichtbarkeit als Gegenpol deines Unsichtbaren erkennen lernen!

Wir könnten nicht in diesem Dasein uns erleben, ohne den ins Äußere strebenden Willen zum erdensinnenhaften Sichtbarsein.

Unsichtbar wirkender und sichtbar gewirkter Wille sind in uns zeitlich vereint.

Noch nähern wir uns nicht der geistgesetzlich bestimmten Bedingung zu bleibender Einung beider Willenspole.

Erlösung vom Zuviel, -

Ergänzung des Zuwenig: -

nichts anderes ist in Wahrheit der „Tod", der unser Unsichtbares aus dem Sichtbaren löst.

Nicht mehr gehemmt durch sichtbare Formen, werden wir dennoch auch in der Sichtbarkeit leben und wirken: - ein jeder als Ganzes, bewusst seiner selbst nun aus dem allewigen Ganzen ..

Weil ihr „Außen" ein „Innen" wurde, - dein „Innen" aber noch mit deinem „Außen" ringt, - darum findest du keinen Weg zu denen, die du: „die Toten" nennst. -

Es gibt zwar einen Weg zu ihnen, aber nur wenige Menschen sind jeweils im Leibesleben, die diesen Weg gefahrlos betreten können.

Er beginnt im Äußeren und führt durch die innersten Hallen der Natur, bevor er sein Ziel erreicht.

Der Mensch, der ihn betreten will, muss selbst diesen Weg erleuchten, sonst verirrt sich der Wandernde in den Labyrinthen die zu „durchwandern" sind.

Nacht und Verwirrung umfängt ihn dort, bis er selbst in Nacht und Verwirrung untergeht.

Irrsinn ist dann das Ende!

Alle, die gefahrlos diesen Weg betreten können, - meiden ihn.   Alle könnten die Wahrheit meiner Worte bezeugen.

Du kannst dich selbst kaum in deinem „Innen" erkennen, - wie dürftest du hoffen, die zarten Stimmen der Entrückten dort zu vernehmen!?!

Es bleibt aber gänzlich unnütz, etwa im „Außen" nach Beweis für etwas zu suchen, was nur im allerinnersten „Innen" zu finden ist.

Ewiges Leben ist Ruhe und Tat.

Ruhe und Tat sind in ewigem Wechsel wie Ebbe und Flut, im ewigen Meere innersten Geschehens.

Ewige Ruhe wäre wirklicher Tod!

Ewige Tat wäre wirkliche Verdammnis!

Ruhe und Tat in Freude vereinigt, sind seliges Leben!

Du deutest irrig deine Sehnsucht, wenn du nach „ewiger Ruhe" zu verlangen glaubst.

Deine Sehnsucht will ewige Freude in Ruhe und Tat!

Freude ist menschliches Fühlen göttlicher Vollkommenheit!

Darum sollst du dem Willen zur Freude Macht in dir geben!

Du kannst nie zuviel nach Freude verlangen!

Und was jetzt dir an bleibender Freude gegeben wird, kann niemals dir wieder genommen werden ...

Allüberall stellt Natur ihre Wegzeiger auf.

Die Menschen tollen daran vorüber wie tanzende Kinder ... Ihr solltet besser auf die Wegzeiger achten lernen! -

Noch strebt ihr nach Lust, und lasst von Gelüsten euch verzehren, indessen allein nur die Freude ins dauernde Leben führt...

Gott ist in der Freude!

Freude ist klares Licht!

Lust und Gelüste sind schwelender Brand!

Der Wille zur Freude ist Wille zu Gott!

Erkenne dich selbst: -

Schlafender Wille warst du, bevor der eine Pol in dir zur Sichtbarkeit drängte.

Träumender Wille bist du noch jetzt!

Mehr und mehr aber wirst du zu wachem Willen werden, bis du dereinst in Freude und Klarheit alles in dir lebendig durch-willst.

Alle Gesetzestafeln sind durch den Willen zur Freude errichtet.

Du selbst bist Wille zur Freude und folgst nur eigenem Gesetz, wenn du in der Freude zu dir selber kommen willst und in Freude zu Gott!

Alles, was bleibende Freude bewirkt, wird dir dienen.

Alles, was bleibender Freude nicht dient, muss dir schaden.

Du selbst bist dein Richter, und dein Richterspruch ist deine Tat!

Du kannst dich selbst für lange Zeit „verdammen", und kannst dich durch dein Tun zur höchsten „Seligkeit" erheben ...

So lange du aber auch irren magst, - du musst zuletzt, und wenn es auch nach Äonen wäre, dir selber folgen!

Sobald du dich selber erkennst, wirst du im Lichte der Gottheit dich finden.

Noch strebst du hinaus in ein leeres, starres Nichts.

Noch spähst du nach tausend Zielen irgendwo „da draußen" ...

Dereinst aber musst du erfahren, dass du nur selbst dir zum Ziel werden sollst, im Willen zur Freude an dir selbst.

Du hältst in deiner Hand die Macht, dich zu binden und dich zu lösen!

Noch bist du deiner Macht dir nicht bewusst. Du erwartest „außen", was nur im Innersten geschieht.

„Außen" und „Innen" aber werden dir zu Einem werden, wenn du dich selbst erst im Willen zur Freude erkennst!

Lange hatte man dich belehrt, dass „Trübsal des Herzens" und „Zerknirschung" dich Gott nahe bringen könnten.

Du hattest diesen Lehren vertraut, und nun fürchtest du dich auf dem Wege zu dir selbst und zu deinem Gott.

Fürchte aber nichts, als was dich fürchten machen will!

Du wirst furchtlos in der Kraft der Freude schreiten, sobald du dich selbst im Willen zur Freude willst.

Im Willen zur Freude wirst du ewiges Leben erleben!

Im Willen zur Freude offenbart sich dir dein lebendiger Gott!

Im Willen zur Freude wird sich Gott dir dereinst auf ewig einen!

Dann wirst du erkennen, dass es nur düstere Götzen waren, die vordem dich der Freude an dir selber, als der Urquelle deines Willens zur Freude, fernzuhalten suchten!

Dann wirst du entdecken, dass es - Angst war, was dich nicht zu deiner Freude kommen ließ!

Dann wirst du erfahren, dass dein Sein dir nur sicher ist, wenn du dich an dir selber freuen kannst!

In heiliger Freude dir ewig selber geschenkt, wirst du auf ewig im Willen zur Freude sein!

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