Vereinung

Als ich angelangt war vor dem Hause der Weisen des Lichtes, begann ich an die Pforte zu pochen, wie einer der da mit Berechtigung Einlass begehrt, - aber niemand kam, der geöffnet hätte.

Da überfiel Traurigkeit meine Seele, und ermattet schlief ich ein vor der Schwelle.

Als ich nach wüsten, angstvollen Träumen erwachte, stand ein Mann vor mir, der ein Lasttier mit sich führte, und das Tier war beladen mit geflochtenen Rohrkörben voll frischen Brotes.

„Was willst du hier, Fremdling", sprach der Mann zu mir.

„Weißt du nicht, dass diese Pforte sich keinem öffnet, der nicht zuvor aus ihr herausgetreten ist?"

Ich aber erwiderte:

„Wehe mir, wenn deine Worte Wahrheit künden, denn ich komme weiten Weges, da mich der Meister also gehen hieß zu denen, die in diesem Hause wohnen, damit ich aufgenommen werden könne in den Kreis ihrer Gemeinsamkeit."

Da sprach der Mann zu mir:

„Auch ich gehöre zu denen, die in diesem Hause wohnen, und dein Verlangen ist meinem Geiste wohlbekannt, - allein, ich sage dir: - Keiner ist je über diese Schwelle geschritten, der nicht vorher gestorben wäre!

Findet er sich nach seinem Tode in diesem Hause wieder, dann geht er fortan ungehindert ein und aus.

Willst du also sterben um zu uns zu kommen, dann mag dich dieses Tier als einen Toten über die Schwelle tragen!"

„Wie sollte ich nicht sterben wollen", war meine Antwort, - „wenn ich anders nicht in eure Gemeinsamkeit gelange?! -

Töte mich eilends, auf dass ich über die Schwelle komme, denn ich weiß, dass jenseits dieser Pforte mein Tod beendet ist!

Bist nicht auch du vormals gestorben, ehe du durch diese Pforte gelangtest, und stehst nun doch lebend vor mir?! -"

„Es geschehe dir nach deinem Willen", antwortete der Mann, und allsogleich fühlte ich, wie mein Körper leblos wurde: - wie mein Wissen um mich selbst erschauerte ...

Aber ehe ich noch erkannte, dass ich gänzlich meinen Leib verlassen hatte, fand ich mich seltsamerweise wieder als eines der Brote, die in den Rohrkorbbeuteln waren.

Ich wollte rufen, aber ich konnte nicht.

Es war nicht anders, als wenn man aus schwerer Traumnot rufen möchte und es nicht vermag.

Ich wollte entfliehen, aber das Brot war mein Leib geworden und bewegte sich nicht.

Da ermattete mein Bewusstsein, und so muss man mich wohl in das Haus und auf die Tafel gebracht haben, wo ich mich bald darauf, neben anderen Speisen vor der Schüssel des Ältesten der Weisen liegend, wiederfand.

Nicht lange lag ich so - immer noch wie in einem schweren dumpfen Traume - als ich die Stimme des Ältesten der Weisen vernahm, die da sprach: „Gesegnet und geheiligt sei dieses Brot, das Nahrung werden will dem ewigen Geiste!

Ewig sei es im Ewigen Nahrung der verhüllten Gottheit!"

Nach diesen Worten brach er das Brot, das ich selber war, entzwei, und ich fühlte den Riss durch meinen Leib hindurch, als wenn man meine menschliche Gestalt zerteilt hätte.

Bebend vor Schmerz schien mir Vernichtung nun gewiss, und ich ersehnte sie als Erlösung, denn der Gewalt, der ich aus freiem Willen mich dahingegeben hatte, war nicht mehr zu entfliehen.

In immer mehr Bissen zerbrach der Älteste das Brot, um allen seinen Brüdern davon zu geben, und in jedem der Bissen war ich selbst lebendig.

Mein Wissen um mich selbst umnachtete abermals ...

Doch nicht lange sollte diese Umnachtung währen, denn bald schon entstand um mich eine Klarheit, die ich noch nicht kannte, so hell auch vordem einst jenes Leuchten war, in dem mich der Meister die Dinge der drei Welten sehen lehrte, ehe er mich den Weg zu dem Hause der Weisen erwandern hieß.

Auch fand ich mich plötzlich wieder in einem menschlichen Leibe und wusste kaum zu fassen, dass ich nicht mehr ein Brotring war, von jener Form des Brotes, wie ich sie in den Rohrkorbbeuteln gesehen hatte, die das Lasttier vor der Pforte trug.

Und siehe: - ich sprach, - und was ich sagte, waren Worte des Ältesten der Weisen ...

Sein Leib war der meine geworden, und mein Geist von dem seinen nicht zu trennen.

Als aber die Weisen: - seine Brüder, - bemerkten, was sich ereignet hatte, sprach ihr Sprecher, in dem ich den Mann erkannte, der mich vordem vor der Schwelle fand:

„Jubel sei in unserem Kreise, denn es ist uns ein neuer Bruder geboren, und du, o Ältester, der die ewige Kette der Leuchtenden schmiedet, - du hast mit dem Hammer den offenen Ring zum Glied der Kette geschlossen!"

„Ihr sagt es!

Diese, deine Worte künden meine Ankunft."

So sprach ich nun aus dem Munde des Ältesten der Weisen.

„Als Speise bin ich euch gekommen um in eurem Geiste geboren zu werden.

Doch, nun gebt mir meinen Mantel wieder, damit ich nicht in eines Anderen Kleid hier bei euch bin, während der Andere sich verborgen hält!"

Auf meine Worte hin verließen die Weisen ihre Sitze an den Tischen, und geführt von dem Ältesten, dem mein Geist geeint war, zogen sie alle hinaus vor die Pforte.

Da aber lag mein Erdenleib leblos und starr wie tot.

Der Älteste jedoch neigte sich über ihn, und sprach überaus leise, so dass es mehr wie ein Anhauchen war, diese Worte:

„Du bist ich!

Diene dir in mir und mir in dir nun aus diesem, deinem Erdenleibe!

Du bist nun geboren als Speise dem Leben des Lichtes, das alles ernährt!"

Als er diese Worte ausgesprochen hatte, fühlte ich, wie mein Empfinden aus dem Erdenleibe des Ältesten auszog, während mein Geist dem seinen vereinigt blieb. Zugleich aber fand sich mein Bewusstsein wieder in dem Leib in dem ich vor die Pforte gekommen war, und doch war es nicht mehr ganz der gleiche Körper von ehedem ...

Es war etwas in ihm verwandelt worden, und ich konnte jetzt im Inneren meines Leibes die Dinge der drei Welten sehen, so, wie ich vordem nur im Äußeren durch das äußere Auge sah.

Nachdem ich mich nun erhoben hatte, empfingen mich die Weisen, wie einen auf den man lange gewartet hat, in überschwenglicher Freude.

Und als sie den Neugewordenen durch die Pforte ins Innere des Hauses führten, begann der Älteste, in Gottheit trunken, eine Weise zu singen, deren Worte sich also fügten: „Lebe der Liebe, zur Nahrung dem Lichte! - Lehrend Erleuchteter, leuchte der Welt!"

Und der Chor der Weisen, die mir nun zu Brüdern gegeben waren, ließ sich vernehmen im Wechselgesang:

„Lerne im Lichte dein Leuchten erkennen! - Lebe der Liebe und leuchte der Welt!"

In meiner Seele aber war das geistige Erkennen aller derer, die um mich versammelt waren.

Ich fand sie alle mir vereint, und war in jedem von ihnen bewusst geworden, wie ich es vordem nur in mir selber war ...

 

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