Felix Weingartner
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Ein unterirdischer Strom, dessen Existenz vergessen schien, hat den Weg zur Oberfläche der Erde wiedergefunden, ist mit aufgespeicherter Kraft hervorgebrochen und hat Überflutungen angerichtet, deren Ausdehnung nicht zu übersehen ist. Rätselhaft und geheimnisvoll ist dieser Strom, stammt er doch aus Regionen, deren sich der Mensch nicht im gleichen Sinne bewusst werden kann wie seiner täglichen Umgebung oder der durch Studium zu erwerbenden wissenschaftlichen Ergebnisse. Das Wort „okkult“, das man in den verschiedensten Verbindungen an allen Straßenecken lesen kann, deutet den von der Erfahrung des gewöhnlichen Lebens oder vielmehr dessen, was man sich darunter vorstellt, abweichenden Charakter dieses Stromes an. Was er aber auch an sich sei, es ist klar, dar, dieser Strom, je tiefer sein Ursprung ist und je ungestümer sein Hervorbrechen war, desto mehr Erdreich, Steine und allen möglichen Unrat mitgeführt hat, der sich nunmehr ablagert, schwer wegzuräumen ist und nur an wenigen Stellen das Durchsickern und den Abfluss reinen Wassers gestattet.

Wohl denen, die wenigstens zu solchen unverseuchten Plätzen gelangen, wo sie, in tieferer Bedeutung, durch den Genuss des Wassers zwar nicht besonders gefördert werden, den schauderhaften Gefahren aber nicht ausgesetzt sind, die Beschäftigung mit okkulten Dingen dem Unberufenen und Unvorbereiteten bringen kann.

Sichtbar und greifbar liegen diese Gefahren vor uns in den Schauläden der Buchhandlungen mit den aufreizend mystischen Titeln und den für blöd neugierige Augen berechneten, geschmacklosen Titelzeichnungen.
 
Sichtbar und hörbar werden sie in manchen Vorträgen und Vorführungen, und fühlbar werden sie in den Dunkelkammern spiritistischer Sitzungen, wo noch am wenigsten Schaden angerichtet wird, wenn keine echten Phänomene eintreten, sondern, bewusst und unbewußt, ein wenig geschwindelt wird.

Was will die große Masse des Publikums mit solchen Büchern, Vor
trägen, Vorführungen und Sitzungen? Die Grenze durchbrechen, die unsere sichtbare Welt von einer dahinter liegenden unsichtbaren trennt; denn die Überzeugung oder wenigstens das dunkle Gefühl, dass es eine solche Welt gibt, ist aus dem Bewußtsein der Menschheit, auch in den Zeiten des Materialismus und der sogenannten „Aufklärung“ niemals ganz verschwunden, beruhen ja doch auf dem „metaphysischen Bedürfnis“, wie es Schopenhauer nennt, alle Religionen und viele philosophischen Systeme. — Ein Durchbrechen dieser Grenze ist sicher möglich. Es fragt sich nur, wo und wie man sie durchbricht.

Die meisten glauben, durch Übungen und Formelkram zum Ziele zu kommen. Etwas ist unter gewissen Umständen auf diese Weise zu erreichen; es ist aber ein besonderer Glücksfall, wenn das Erreichte sich nicht gegen denjenigen kehrt, der es erreicht hat.

Ich habe mich seit vielen Jahren mit dem sogenannten Okkultismus beschäftigt, habe mich durch einen Wust von schlechten und auch guten Büchern durchgearbeitet, vermochte herauszufinden, was meine Erkenntnis tatsächlich förderte, trank also gewissermaßen an jenen Stellen von dem geheimnisvollen Wasser, wo es bereits rein und klar floss, bis ich deutlich fühlte, dass wahrhaltige Erhebung und Erleuchtung von dorther überhaupt nicht kommen könne, sondern ganz anderswoher geholt werden müsse.

So ward ich reif, die Lehre des Bô Yin Râ zu empfangen, und im richtigen Augenblick traten seine Bücher und später er selbst in mein Leben.

Wer ist Bô Yin Râ? — Ein Mensch wie wir alle, ein Familienvater, seinem Berufe ergeben. Nichts Äußerliches an ihm zeigt an, was er in Wahrheit ist. Wer sich ihn etwa in einem mit magischen Zeichen verbrämten Mantel bekleidet vorstellt, irrt gewaltig. — Ich werde seinen bürgerlichen Namen nicht verraten. — Wer geistig zu ihm findet, ist mit ihm verbunden, auch ohne ihn persönlich zu kennen.
 
Geistig zu Bô Yin Râ zu führen, zum richtigen Lesen seiner Bücher anzuregen und vielleicht ihr Verständnis durch eine gedrängte Darstellung seiner Lehre zu erleichtern, ist der Zweck dieser Schrift.


Felix Weingartner
Buenos Aires, 8. Juni 1922.
Vorwort zu seiner Broschüre „Bô Yin Râ“

 

 

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09.11.2012