Ein unterirdischer Strom, dessen Existenz vergessen
schien, hat den Weg zur Oberfläche der Erde wiedergefunden, ist mit
aufgespeicherter Kraft hervorgebrochen und hat Überflutungen
angerichtet, deren Ausdehnung nicht zu übersehen ist. Rätselhaft und
geheimnisvoll ist dieser Strom, stammt er doch aus Regionen, deren
sich der Mensch nicht im gleichen Sinne bewusst werden kann wie seiner
täglichen Umgebung oder der durch Studium zu erwerbenden
wissenschaftlichen Ergebnisse. Das Wort „okkult“, das man in den
verschiedensten Verbindungen an allen Straßenecken lesen kann, deutet
den von der Erfahrung des gewöhnlichen Lebens oder vielmehr dessen,
was man sich darunter vorstellt, abweichenden Charakter dieses Stromes
an. Was er aber auch an sich sei, es ist klar, dar, dieser Strom, je
tiefer sein Ursprung ist und je ungestümer sein Hervorbrechen war,
desto mehr Erdreich, Steine und allen möglichen Unrat mitgeführt hat,
der sich nunmehr ablagert, schwer wegzuräumen ist und nur an wenigen
Stellen das Durchsickern und den Abfluss reinen Wassers gestattet.
Wohl denen, die
wenigstens zu solchen unverseuchten Plätzen gelangen, wo sie, in
tieferer Bedeutung, durch den Genuss des Wassers zwar nicht besonders
gefördert werden, den schauderhaften Gefahren aber nicht ausgesetzt
sind, die Beschäftigung mit okkulten Dingen dem Unberufenen und
Unvorbereiteten bringen kann.
Sichtbar und
greifbar liegen diese Gefahren vor uns in den Schauläden der
Buchhandlungen mit den aufreizend mystischen Titeln und den für blöd
neugierige Augen berechneten, geschmacklosen Titelzeichnungen.
Sichtbar und hörbar werden sie in manchen Vorträgen und Vorführungen,
und fühlbar werden sie in den Dunkelkammern spiritistischer Sitzungen,
wo noch am wenigsten Schaden angerichtet wird, wenn keine
echten Phänomene eintreten, sondern, bewusst und unbewußt, ein wenig
geschwindelt wird.
Was will die große Masse des Publikums mit solchen Büchern, Vor
trägen, Vorführungen und Sitzungen?
— Die Grenze durchbrechen, die unsere sichtbare
Welt von einer dahinter liegenden unsichtbaren trennt; denn die
Überzeugung oder wenigstens das dunkle Gefühl, dass es eine solche Welt
gibt, ist aus dem Bewußtsein der Menschheit, auch in den Zeiten
des Materialismus und der sogenannten „Aufklärung“ niemals ganz
verschwunden, beruhen ja doch auf dem „metaphysischen Bedürfnis“, wie
es Schopenhauer nennt, alle Religionen und viele philosophischen
Systeme. — Ein Durchbrechen dieser Grenze ist sicher möglich. Es fragt
sich nur, wo und wie man sie durchbricht.
Die meisten glauben, durch Übungen und Formelkram zum Ziele zu
kommen. Etwas ist unter gewissen Umständen auf diese Weise zu
erreichen; es ist aber ein besonderer Glücksfall, wenn das Erreichte
sich nicht gegen denjenigen kehrt, der es erreicht hat.
Ich habe mich seit vielen Jahren mit dem sogenannten Okkultismus
beschäftigt, habe mich durch einen Wust von schlechten und auch guten
Büchern durchgearbeitet, vermochte herauszufinden, was meine
Erkenntnis tatsächlich förderte, trank also gewissermaßen an jenen
Stellen von dem geheimnisvollen Wasser, wo es bereits rein und klar
floss, bis ich deutlich fühlte, dass wahrhaltige Erhebung und
Erleuchtung von dorther überhaupt nicht kommen könne, sondern ganz
anderswoher geholt werden müsse.
So ward ich reif, die Lehre des
Bô Yin Râ zu empfangen, und im richtigen Augenblick traten seine
Bücher und später er selbst in mein Leben.
Wer ist Bô Yin Râ? — Ein Mensch wie wir alle, ein Familienvater,
seinem Berufe ergeben. Nichts Äußerliches an ihm zeigt an, was er in
Wahrheit ist. Wer sich ihn etwa in einem mit magischen Zeichen
verbrämten Mantel bekleidet vorstellt, irrt gewaltig. — Ich werde
seinen bürgerlichen Namen nicht verraten. — Wer geistig zu ihm findet,
ist mit ihm verbunden, auch ohne ihn persönlich zu kennen.
Geistig zu Bô Yin Râ zu führen, zum richtigen Lesen seiner Bücher
anzuregen und vielleicht ihr Verständnis durch eine gedrängte
Darstellung seiner Lehre zu erleichtern, ist der Zweck dieser Schrift.
Felix Weingartner
Buenos Aires, 8. Juni 1922.
Vorwort zu seiner Broschüre „Bô Yin Râ“