Kurze Einführung in die Welt der Bilder
des Malers Bô Yin Râ
Seit dem das Buch „Der Maler Bô Yin Râ“ von Rolf
Schott herausgegeben wurde, sind viele Jahrzehnte vergangen. Auch die
Schrift „Symbolform und Wirklichkeit in den Bildern des Malers Bô Yin
Râ“ ebenfalls von Rolf Schott ist vor 50 Jahren verfasst worden.
Niemand hat sich meines Wissens seither über die Bilder von Bô Yin Râ
eingehend geäussert. Das ist einerseits sehr verständlich, da Bô Yin
Râ ausdrücklich geschrieben hat, dass es an seinen Bildern nichts zu
„erklären“ gäbe. Das was Schott in seinen Schriften über die Bilder
schreibt, ist an sich ja mehr als genug. Sein relativ komplizierter
Schreibstil schreckt, wie ich mir sagen lassen musste, allerdings
manchen Leser auch ab, obwohl er mir persönlich sehr gefällt.
Es wäre also vielleicht nicht schlecht, aus
heutiger Sicht und in etwas einfacheren Worten über das Bildwerk von
Bô Yin Râ zu schreiben. Es braucht allerdings sicher eine gewisse
Kühnheit, sich darüber nochmals auszulassen. Doch will ich einerseits
nicht mit Schott konkurieren und andererseits will ich die Bilder ja
nicht erklären, sondern lediglich einige Eindrücke und Empfindungen
festhalten, die vielleicht auch einem anderen Betrachter, vor allem
einem, der sie zum ersten mal sieht, hilfreich sein könnten.
Ich möchte also hier diese Gedanken
vorstellen, wohlwissend, dass ich nur meine subjektiven Eindrücke
und mein eigenes Empfinden beschreiben kann, ohne Anspruch auf eine
Allgemeingültigkeit dieser Aussagen. Auch Felix Weingartner hat
seinerzeit seinen rein persönlichen Empfindungen über diese Bilder
Ausdruck gegeben.
Ich glaube, dass die Zeit nicht mehr ferne ist, wo
das Lehrwerk und damit auch die Bilder endlich vermehrt Beachtung
erhalten und langsam den Stellenwert einnehmen werden, der
ihnen gebührt.
Vielleicht gelingt es mir, mit meinen Ideen einem
Anfänger die allerersten Schritte in die wunderbare Welt dieser Bilder
etwas leichter zu machen.
WE.
Die wahrscheinlich beste Art und Weise sich den
Bildern erstmals zu nähern, ist, sie wie eine Landschaft zu
betrachten. Da gibt es ja auch nichts zu „erklären“ ein Baum ist ein
Baum, ein Berg einfach ein Berg usw. … Der Unterschied liegt vor allem
darin, dass wir für die Elemente dieser Bilder keine Worte haben und
auch keine vergleichbaren Eindrücke aus unserer physischen Welt. Nur
in unserem Innern, im Allerinnersten, sind so etwas wie Urerinnerungen an
diese Welten und Formen gespeichert. Wenn wir dem Verstand ruhig
halten können beim Betrachten, können wir gewiss dieses Urerinnern
wieder aus seinem Schlafe wecken.
Bevor ich auf die sog. Geistlichen Bilder von Bô
Yin Râ eingehe, möchte ich bei seinem malerischen Frühwerk beginnen.
Die ältesten Zeugnisse aus seiner Hand die noch erhalten sind, sind
die
Ornamente.
Eine Serie von insgesamt vierundzwanzig Bildern nebst zwei Entwürfen.
Für mich sind das bereits etwas wie Vorboten seiner
geistlichen Bilder. Es sind gleichsam Vorahnungen davon, die zwar noch
nicht in die gleiche Tiefe führen, aber doch schon gleichsam Hinweise
darauf enthalten.
Diese Ornamente sind ja weit mehr als nur Zierrat.
Sie sprechen bereits eine Formensprache, die Bô Yin Râ bei seinen
geistlichen Bildern dann vollendet hat.
Die Formensprache der Ornamente gemahnt vielfach an
Pflanzenformen. Man kann davon ausgehen, dass es teilweise sozusagen die
geistsinnlichen Entsprechungen von Pflanzen sind. Andere
gemahnen auch an gotische Fenster und gotisches Maßwerk. Die
Ornamentik der Gotik besteht ja aus geometrischen Formen, wie z.B.
Kreisen, Bögen und filigranen Mustern (Maßwerk), das dann oft in Fenster
eingesetzt wurde. Weitere Vorlagen zu vielen gotischen Ornamenten nahm
man auch aus der Pflanzenwelt. Nach meinem Empfinden handelt es sich
somit bei den Ornamenten von Bô Yin Râ vielleicht um die eigentlichen
geistigen Hintergründe vieler gotischen Formen.
Es fällt auf, dass alle Ornamente, bis auf zwei,
keinerlei Umrandung aufweisen. Diejenigen mit Umrandung sind
vermutlich die frühesten. Er hat dann diese Umrahmung weggelassen, sei
es, um die Formen nicht quasi einzuengen oder einzusperren, oder aus
der Erwägung, dass jedes Ornament, wie noch in weitaus grösserem Masse
natürlich die „geistlichen Bilder“ ein Ganzes sind, das Ganze
enthalten und so sich selbst ganz natürlich beschränken.
In seinem Buch „Aus meiner Malerwerkstatt“ (Seite
18)schreibt
Bô Yin Râ ganz klar, dass seine Auffassung eines Bildes diejenige
eines „in sich ruhenden Kosmos der zu ihm gehörigen Formen und
Farben“ sei.
Und weiter: (Seite 31-32)
„Ich muss hierbei darauf aufmerksam machen, dass
mir das freie Ornament, schon von sehr jungen Künstlerjahren an, als
die höchste, weil reinste Form künstlerischer Darstellung in der
Fläche gilt, und dass mir das Auflösen der Fläche, soweit es über die
Darstellung eines innerhalb des Bildrahmens klar gegliederten Raumes
hinaus, unbestimmbaren Raum zu schaffen sucht, als künstlerische
Verirrung erscheint ….“
Ganz klar ist dieses künstlerische Ziel bereits
in den Ornamenten erreicht worden. Die grosse Bedeutung des Ornamentes
geht auch noch aus folgender Stelle hervor:
„In jeder Art der Darstellung, die ich jemals
wählte um ein Bild zu gestalten, wird man aber die mir eigene
ornamentale Auffassung der Natur gewahren, und selbst die Formung des
Gegenständlichen durch zahllose Linien- und Farbenfäden, wie ich sie
vor den rissigen Felsklippen von Kullen zur Anwendung brachte, durfte
keineswegs das Ornamentale in meiner Auffassungsart unterdrücken.“(„Aus
meiner Malerwerkstatt“, Seite 31).
Das sind deutliche Worte und sie sollen hier die
grundlegende Bedeutung des Ornamentes im Schaffen von Bô Yin Râ
herausstellen.
Hier seien nun, zur besseren Verdeutlichung einige
Bemerkungen über das Ornament in der Kunst- und Kunstgeschichte
eingeschoben:
"Ein Ornament (von lat. ornare, 'schmücken,
zieren') ist ein meist sich wiederholendes, manchmal aber auch einfach
ein symmetrisches, oft abstraktes oder abstrahiertes Muster. Man
findet Ornamente z. B. als Verzierung auf Stoffen, Bauwerken, Tapeten,
etc.
Ornamente können gegenständlich aus Blumen- oder
Fantasiemustern gebildet werden. Blumen und Blätterornamente findet
man z. B. häufig in Kirchen, Kathedralen, Kreuzgängen und anderen
Bauwerken an Säulen oder Erkern, sowie an Decken (Stuck) oder
Hauseingängen.
Ornamente grenzen sich von Bildern im
klassischen Sinne dadurch ab, dass ihre narrative Funktion gegenüber
der schmückenden Funktion in den Hintergrund tritt. Sie bauen weder
zeitlich noch in der räumlichen Tiefe eine Illusion auf. Sie erzählen
beispielsweise keine kontinuierliche Handlung und sind auf die Fläche
beschränkt.
Sehr gegenständliche und plastische Ornamente
stehen den abstrakten oder stilisierten gegenüber. Die Stilisierung
kann einzelne Elemente oder Formen betreffen oder wie in der Arabeske
die Bewegungsführung. Je abstrakter ein Ornament ist, desto stärker
erscheint der Grund als eigenständiges Muster."
(Quelle: Wikipedia)
Die in den Ornamenten von Bô Yin Râ verwendeten
Formen können auch als Vorläufer der dann später in den geistlichen
Bildern verwendeten sog. Stammformen betrachtet werden.
Einer der Hauptunterschiede der Ornamente zu den
geistlichen Bildern ist, neben der Farbe, auch die weitgehende Symmetrie
bei den Ornamenten, die bei den Bilder zugunsten einer viel
lebendigeren Gegenüberstellung von links und rechts aufgegeben wurde.
Beispiele:
Motiv aus dem Bild: Das klingende
Licht |
Motiv aus einem Ornament |
Man mag dieses Beispiel als etwas weit hergeholt
empfinden, aber für mich besteht hier durchaus eine Verwandtschaft.
Ich gebe zu, dass diese Art der Gegenüberstellung sehr problematisch
ist, da diese Elemente allein ja nicht viel aussagen, da ihnen
eben das Wesentliche, das Eingebettetsein in ein Ganzes fehlt. Nur
wenn wir das ganze Bild betrachten, kann es wirklich zu uns sprechen.
Trotzdem glaube ich, dass diese Gegenüberstellung uns den Blick auf
Wesentliches der Bilder durchaus schärfen kann, sofern man daraus dann
nicht einen „Sport“ macht, was durchaus verwerflich wäre.
Ich möchte es deshalb bei diesem Beispiel
bewenden lassen, obwohl es problemlos durch viele andere, vielleicht
sogar noch treffendere, ergänzt werden könnte.
So bleibt es jedem überlassen, diese Parallelen
selbst zu entdecken und zwar immer nur unter Betrachtung des
jeweiligen ganzen Bildes!
Ich wende mich nun den im wahrsten Sinne des Wortes
„meisterlichen“ Bildern zu und zwar nicht nur den „geistlichen“
sondern auch den „Landschaften“.
Es ist keine Vollständigkeit erstrebt, sodass ich
es auch hier mit wenigen Beispielen bewendet sein lasse. Es geht mir
nur darum, dem Betrachter einige „Hinweise“ oder besser Anregungen zu
geben, was man u.a. in diesen Bildern finden kann, bzw. was ich selbst
in diesen Bildern gefunden habe.
Grundsätzlich ist zu sagen, beinahe alle, vor allem
die geistlichen Bilder in einem recht eigentlichen Sinn
"Meditationsbilder" sind. Nicht nur in dem Sinne, dass man darüber
meditieren kann und soll, sondern auch in dem diese im Grunde genommen
Meditationszustände, Meditationsstufen, Meditationserlebnisse
darstellen. Bei einer Meditation müssen wir uns zuerst durch
verschiedene "Schichten" uns quasi hindurchkämpfen, wir müssen sie wie
Vorhänge auf die Seite schieben um auf irgend eine Weise der inneren
Weite, des inneren Lichts, unseres inneren Zieles, eben im wahrsten
Sinne des Wortes inne zu werden und dabei immer wieder darauf
zu achten haben, dass die seitlichen "Vorhänge" nicht wieder zufallen. Diese Vorhänge sind nämlich Welten, Dimensionen oder wie man
sie sonst nennen mag, in die wir uns richtig verirren können und dann von
ihnen festgehalten werden. Die Bilder zeigen uns nun die Wirklichkeit,
die sich uns enthüllt, wenn alle Kulissen und Vorhänge
nach oben und auf die Seite zurückschlagen, zurückgebunden werden. Eine Stufe die vermutlich nur wenige aus eigener Kraft erreichen
können. Hier werden nun durch einen Berufenen diese Vorhänge und
Widerstände zurückgebunden und uns das Innere aufgetan. Bei den
weitaus meisten Bildern ist das so, obwohl es, vor allem bei den
Weltenbildern, auch solche gibt, die uns auch spiegeln wie wir
noch in den Kulissen stecken (z.B. Lebenskeime).
Diese Vorhänge bilden die Kruste, wie sie "Schott"
im "Der Maler Bô Yin Râ" beschreibt. (Siehe
Struktur). Sie sind nicht einfach als
negativ zu betrachten, denn sie gehören zum Ganzen und sind nötig für
das Ganze, auch wenn wir sie mit der Zeit hinter uns, oder eben, wie
in den Bildern illustriert, auf der Seite lassen müssen.
Diesen Vorgang schildert das folgende Bild:
Loslösung
Hier sehen wir, wie eine am Anfang noch dunkle, aber
immer lichter werdende Sphäre sich aus dem Gefältel der Kruste
"hinausschält" um nach oben zu streben.
Das gleiche, oder ein ähnliches Motiv, vielleicht in
einer späteren Phase?, sehen wir hier. Eine spätere Phase könnte es
sein, weil dieses Bild bereits viel lichtvoller ist, als das noch eher
dunkle erste Bild.
Wenden wir uns jetzt einem Landschaftsbild
von Bô Yin Râ zu, dem "Asklepieion zu Athen"
Asklepieion zu Athen
Dieses Bild mit seinen ragenden Säulenstümpfen
erweckt in mir die Empfindung einer Verbindung zwischen Himmel und
Erde. Der Himmel, das Obere, hier „nur“ ein blaue, aber lichte Fläche
ist lebendig mit dem Unten, der Erde verbunden und zwar durch die
Säulen. Es ist findet in diesem Bild eine Art „Erlösung“ der Erde
statt. Eine Erlösung damit auch der Trümmer im Vordergrund und eine
Art Erhebung und Einbettung in den Himmel zu einer neuen Ganzheit.
Das Bild hat für mich ein ziemlich genaues
Pendant in den geistlichen Bildern, nämlich in dem Bild „Festliche
Einung“:
Festliche Einung
Natürlich ist dieses Bild viel reicher als das
andere, es ist vielleicht sozusagen das Innwendige des anderen Bildes,
dass man dort zwar ahnen kann, das aber dort doch noch mehr als eine
Art „Verheissung“ verborgen ist. Hier ist es „Ereignis“ geworden. Hier
ist das Oben und Unten auf eine wahrhaft „festliche“ Art miteinander
verbunden, ja verwoben worden. Auch die Trümmer sind im Vordergrund
unten noch zu ahnen, während der Himmel hier offen ist und die
aufgehende Sonne im Hintergrund das „Amen“ spricht. Ein wahrhaft
„grosses“ Ereignis ist auf diesem Bilde festgehalten worden. Eine
innere Ordnung, bei der alles an seinem Platz ist. Dies gilt natürlich
für alle Bilder von Bô Yin Râ aber mir scheint es, dass es Bilder
gibt, die von einer ganz besonders strengen Rhythmik durchpulst sind.
Eine strenge Ordnung wie z.B. in einer Fuge von
Bach. Die Farbigkeit des Bildes ist, ich möchte sagen „österlich“ und
überwältigend festlich. Ein wahrhaft erlöstes und erlösendes Bild. Es
ist „Auferstehung“ der wir hier beiwohnen können. Trotz des fast
„überschäumenden“ Jubels wirkt dieses Bild irgendwie auch, trotz
seiner Dynamik ruhig und gelassen, im Sinne einer freudigen, unendlichen
Bejahung. „Dein Wille geschehe“ oder vielmehr „Dein Wille geschieht!“.
Es ist die heilige Hochzeit (HierosGamos) von Himmel und Erde.
Der "Stern der Weisen“ ist ein weiteres Bild, das
von einer besonders strengen Ordnung und Disziplinierung zeugt.
Der Stern der Weisen
Alles erscheint gebändigt und geordnet
auf eine überwältigende Art. Es fällt auf, dass hier das Ornamentale
besonders ausgeprägt ist. Hier ist mehr eine Art Erwartung, eine Art
Stille zu spüren. Die treppenartigen Mäander bereiten dem strahlenden
Stern quasi ein Willkommen, während sich die "Randkräfte" beherrscht
zurückhalten oder zurückgehalten werden.
Bei dem Bild "Lebenskeime" geht eine
gewaltige Bewegung durch das Bild. Etwas wie, ein ungeheurer
Sturm braust hindurch. Sicher ein Bild aus einer relativ niederen,
weil dunklen Sphäre. Sind das fallende Engel, die sich in die äusseren
Schalen verirren und die dadurch sich in die Macht der in diesem Bild
dräuenden Schicksalsmächte begeben, bis sie sich wieder aufschwingen
zu den lichteren Höhen?
Lebenskeime
Ich würde diesem Bild am liebsten den Hochsommersturm
zur Seite stellen.
Hochsommersturm
Ein anderes Bild, das von einer äusserst strengen, rhythmischen,
und ich möchte fast sagen hierarchischen Ordnung erfüllt ist,
wie kaum ein anderes, ist das Bild „Seraphim“.
Seraphim
Hört man da nicht geradezu eine Fuge von Bach
erbrausen? Da wirken
die Randkräfte fast wie in Ehrfurcht erstarrt. Hier ist aber wirklich
alles an seinem Platz. Da wird alles zum Kristall. Da drängt oder
brodelt nichts mehr. Die
gewaltigen Kräfte der Seraphime die in diesem Bilde walten, dulden
nicht das geringste „Ausscheren“ aus der Ordnung, obwohl auch dieses
Bild trotzdem von einer ehrfurchterzeugender Dynamik durchpulst wird
durch die kreisenden "Räder" die in majestätischer Macht und Grösse
vorbeiziehen. Es sind die "Lebenskeime" auf
einer unermesslich viel höheren Ebene, sozusagen in ihrer Vollendung.
Engel, die sich gar nie in irgendwelche dunklen Gebiete verirren.
Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um dazu
anzuregen, die im ersten Moment vielleicht fremdartig erscheinenden
Bilder einer sehr eingehenden Betrachtung zu würdigen.
Mit der Zeit regt sich dann in unserer Seele das
Urerinnern, da das alles ja Bilder aus unserer eigentlichen Heimat
sind.
WE.