Geistige Baukunst
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GEISTIGE BAUKUNST
(Aus der Zeitschrift
"Die Säule", Januar 1927)

Nicht von ungefähr ward dem Menschen schon in ältesten Zeiten aus der irdischen Baukunst ein fast überreiches Symbol geistiger Selbstgestaltung!

Nicht von ungefähr waren die “des Bauens und der Zierde Kundigen” einst wissende Priester der Gottheit, ‑ und wahrlich nicht von ungefähr lassen heute noch Tempelruinen und hohe Dome Kundige verborgenes Weistum ahnen! ‑ ‑

 Hier geht es um Allertiefstes, und nur wer erfaßt hat, daß alles Hohe, so es sicher stehen soll, in der Tiefe gründen muß, ‑ nur wer seine eigene Tiefe nicht fürchtet, ‑ wird hier belehrt aus uralter Lehre, ‑ erschreckend für den, der unreinen Herzens kommt, ‑ trostreich Allen, die in Lauterkeit nach Licht verlangen.‑‑‑

So ist es denn auch in diesen neueren Tagen gewiß kein kindisches Unterfangen, aus der Baukunst das Symbol zu heben, und allgemach aus ihren alten Werken deuten zu lernen, was annoch dunkel erscheint, so dies nur nüchternen Sinnes und frei von Deutesucht geschieht. ‑  

Wahrlich, es war den Alten kein müßiges Spiel, den Symbolreichtum der Baukunst dienstbar zu machen dem geistigen Tempelbau, der aus dieser Erdenmenschheit höchsten Seelenkräften erstehen, und alles wahrhaft Menschgewordene dereinst auf Erden einen soll! ‑‑‑

Denen, die in sich selber die Tiefe erreichten, allwo ihr Dasein gründet, werden aufs neue heute wieder durch wissende Werkmeister die so lange verschütteten, nun gereinigten, wiedergefundenen Wege gewiesen, die zu den Werkhütten geistiger Baukunst führen.

Nicht jeder aber ist berufen, diese Wege zu beschreiten, und es ward auch wahrhaftig nicht etwa von Männern, aus der Macht des Mannes, angeordnet, daß diese, ‑ auch nicht jedem Manne offenen Wege, niemals von einer Frau betreten werden können, ‑ was allen Anschein einer Geringerwertung der Frau verliert, wenn man bedenkt, daß auf diesen Wegen Kräfte zu geistiger Wirkung kommen müssen, die physisch und psychisch nur dem Manne angeboren sind und ihn allein zum Manne machen.

Es wäre eben so töricht, hier von einer schicksalsmäßigen “Bevorzugung” des Mannes reden zu wollen, wie es töricht wäre, wollte der Mann dem Weibe seine Mutterwürde neiden und sich im ungerechten Nachteil wähnen, weil er ‑ auch als Vater ‑ niemals in jener engen Vereinung mit dem werdenden Leben steht wie das Weib. ‑‑

So aber, wie der Mann nur durch das Weib zum Vater werden kann, und wie das Kind dann beider Art und Wesen in sich eint, ‑ so kann auch der Frau nur durch den berufenen Mann ihr Anteil an dem reinen Segen geistiger Kunstausübung in den Werkhütten geistiger Baukunst werden, und was der Mann allhier in werkgerechter Arbeit sich erwirbt, wird gleicherweise zum Miteigentum der Frau, die mit ihm in wahrer geistgegründeter Ehe dieses Erdenleben teilt, ‑ obwohl er erworbenes Kunstgeheimnis nie vor ihr offenbaren darf und kann, da hier “Erklärung”: ‑ Geistverwirrung wäre, könnte sie gegeben werden.

Nur weil hier niemals Werk in Worten darzustellen ist, verpflichtet sich der Mann, der solches Werk vollbringt, zum absoluten Schweigen über seine Kunst, ‑ und nicht nur etwa vor der Frau allein, sondern auch vor jedem Manne, der nicht am gleichen Werke in der gleicher Weise wirkt.‑‑

Es würde nur Heiligstes entweiht, und dennoch würde kein Begriff von dem vermittelt, was hier verborgen bleiben muß, da es sich niemals anders fassen läßt, als in der eigenen Ausübung, die lange, ernste Schulung fordert. ‑  

So kann denn das, was wirklich hier “Geheimnis” ist, auch selbst durch den, der sich mit untilgbarer Schuld beladen wollte, keinesfalls “verraten” werden, denn was ein solcher etwa sagen könnte, wären Worte, die nur wirre Vorstellungen wecken würden, ohne irgend einen Einblick aufzutun. ‑  

Wer aber auch nur seine erste Schulung in der Werk‑Kunst wirklich mit Erfolg bestand, so daß ihm schon ein Weniges zu sicherer Erfahrung wurde, der ist in sich schon so gewandelt, daß es ihm unmöglich wird, nur den Gedanken auszudenken, daß hier einer einem Andern, der nicht selbst die gleichen Wege wandelt, irgend etwas Wesentliches jemals offenbaren könnte, denn er weiß bereits, wie hier allein ein “Wissen” zu erlangen ist. 

Alles, was jemals über diese Dinge an “Enthüllungen” geboten wurde, ist barer Unsinn, oder aber nur Enthüllung kindlich simpler, pietätvoll festgehaltener Gebräuche solcher Zirkel, die längst, ‑ wie sie auch selbst gestehen, ‑ gerade das verloren haben, was dem Gebrauchtum, das sie üben, einst Bedeutung gab. 

Ich zweifle nicht daran, daß einst auch sie die Wege finden werden, die nun wieder gangbar wurden, um bei den werkvertrauten Wissenden die alte Werk‑Kunst zu erlernen, die allein erst ihrem Namen dann erneut Berechtigung verleihen kann. 

Dies alles mußte ich vorerst erwähnen, weil es deutlichste Erwähnung fordert, will man nicht die üppige Phantastik weiter wuchern lassen, die aus frivol verstreuten Samen allerorten blüht und, ungehindert, giftigunheilvolle Früchte zeitigt. 

Nun aber will ich hier zu Frauen und zu Männern reden, die vielleicht in stiller Ahnung zu ermessen wissen, was es heißen will, daß Werkeskundige erneut in dieser Zeit erstanden sind, die jetzt auf dem so lange schon verlassenen Werkplatz weiterbauen, auf dem in alten Zeiten kunstgeübte Maurer nach den Rissen hoher Wissender die ersten Säulen setzten zu der Erdenmenschheit höchstem Weihetempel. ‑‑‑  

Ich will zu Menschen reden hier, die wohl den Bau des allgemeinen Tempels fördern wollen, auch wenn sie nicht sich selbst gerufen hören, auf dem Werkplatz, tätig und der Kunst beflissen, mitzubauen!  

Es ist nicht nötig, daß sich jeder, der den Tempelbau in seiner unermeßlichen Bedeutung zu bewerten weiß, auch selbst zur Arbeit meldet, und jeder, der ihn fördern will, kann ihm in bester Weise dienen, wenn er zu seinem Teil die Arbeit an sich selbst zu leisten sucht, die wahrlich mancherlei von ihm verlangt, denn hier ist gleichsam jede Menschenseele “roher Stein”, der erst behauen werden muß, um einst dem Tempel eingefügt zu werden, und auch die Bauenden sind “Steinmetz, Stein und Meißel” für sich selbst...

In jedem einzelnen der “Steine” muß der Tempel vorgebildet werden, der nur erstehen kann, wenn er, in strengster “Maßgerechtigkeit”, nach Maß und Winkel aufgerichtet wird. ‑  

Die Menschheit ist ‑ um hier im Gleichnis zu verbleiben ‑ wie ein großer Steinbruch, angelegt für diesen Tempelbau, den erst in fernsten Erdentagen einst die Kuppel überwölben wird ... 

Nicht jeder Stein, der aus dem Steinbruch kommt, ist aber gleicher Art und gleicher Form und gleicher Größe! Doch jeder trägt verborgen in sich selbst die Werkform, die ihm werden kann, und erst wenn er nach dieser Werkform zubehauen wurde, kann sich entscheiden, wo er einzubauen ist.‑‑ 

 ‑ Hier haben Jene zu entscheiden, die vormaleinst des Baues Risse gaben und auch heute wieder wachen über dem von ihnen selbst erneuerten Maurerwerk... 

Die Bauenden, die werkgerecht “des Bauens und der Zierde” hohe Kunst erlernten, sind nur die treuen Diener nach dem Willen Derer, die sie bauen lehrten und zur Werkarbeit bestimmten.

Soll der Tempelbau nicht in sich selbst Zusammenstürzen, so muß in seinen Mauern jeder Stein nach Schwere, Form und Größe seine baugerechte Stätte finden, die durch des Tempels planbewußte Baumeister allein gewiesen wird. 

So darf hier jeder “rohe Stein”, der durch die Arbeit an sich selbst die ihm gemäße Formung sich erwirbt, wahrhaftig sicher sein, daß er zu seiner Zeit im Tempelbau an jene Stelle kommt, die ihm allein nur: ‑ an‑gemessen ist. 

Das gilt nicht minder von den Bauenden, wie von den vielen Andern, die zwar nicht am Bau ein zugewiesen Werk verrichten müssen, aber sich in aller Stille  aus dem “rohen Stein” hervor zu formen wußten. 

Es wird sich aber jeder bei den Bauenden stets Rat erbitten können, wie er am besten seine Formung sich erwerben soll, denn wahrlich wissen diese werkgerechten Maurer ihm zu helfen!         Jeder, der guten Willens ist, und das Seinige beizutragen sucht um den Tempelbau zu fördern, gehört im Geiste auf reingeistige Weise der Bauhütte an, auch wenn er nicht als Kunstbeflissener mit Hammer, Kelle und Senkblei an der Arbeit steht.‑‑  

Von solcher Zugehörigkeit im Reich des wesenhaften reinen Geistes, wird auch in gleicher Art die Frau umschlossen, sofern sie ihren Willen dem der Bauenden bewußt vereint, auch wenn sie nicht in einer wahren Ehe hier auf Erden eines echten Maurers Erdenleben teilen kann. 

Es wird ihr dann vom Geiste her zuteil, was sie benötigt, um sich selbst zum werkgerechten Stein zu formen, und geistig fließen ihr die Segenskräfte zu, die aus der Werkarbeit der Bauenden entströmen. ‑  

Wenn ich einst sagte, daß da jegliche “Gemeinde” nur den Leichenzug ihres toten Glaubens bilde, ‑ so muß ich nun hier in erneuter Bekräftigung dieser Worte auch aufs Deutlichste betonen, wie die Vieleinheit in maurerischer Bruderschaft das denkbar ausgeprägteste Gegenbeispiel zu aller “Gemeinde”‑Formung bildet! ‑ ‑

Von der Welt des wesenhaften, reinen Geistes her betrachtet ist die Anhäufung von Menschenseelen zur “Gemeinde” nur verzeihliche Folge erdenhafter Ärgste, und bedingt durch tiertriebhafte Sicherungsinstinkte, ‑ oft nicht mehr ganz der Würde des zum reinen Geiste Strebenden vereinbar, ja für manchen gar ein arges Hindernis, ‑ während die Brudereinung, die einst Urmaurer hier auf Erden zur Erscheinung brachten, und die in diesen Tagen neu erstand, vom ewigen Geiste her gefordert wird, als ihm gemäße Art der geistig‑menschlichen Gemeinsamkeit. ‑‑‑  

Entsteht “Gemeinde” immer dort, wo atavistisch eingefleischter Herdentrieb die Einzelnen zusammendrängt, so bildet die freie Einung werkwissend bauender, wahrer Maurer ‑ und auch der ihnen geistgeeinten Förderer des Tempelbaues ‑ gleichsam eine geistig berechtigte Ritterschaft, ‑ den einzigen “Adel”, der vor dem Königtum des Geistes gilt, und ewig gelten wird.‑‑‑

Es gilt aber hier auch die Sprichwortwahrheit, daß “Adel verpflichtet”, ‑ und wer solche innerste Verpflichtung noch nicht in sich fühlt, der bleibe lieber der Werkhütte fern, ‑ ja er bleibe ihr auch geistig fern, und wähne nicht, als Förderer sei er aller Pflicht entbunden! 

Es ist besser für ihn: er wird erst nach dieser Erdenzeit zu seiner kubisch‑winkelrechten Form gestaltet, ‑ in jener Zeit, da er sich selbst nicht mehr gestalten kann, da ihm das Werkzeug fehlt, ‑ ‑ als wenn ihn hier bereits in seinem Erdenleben, die Baumeister des Tempels wieder aus dem Mauerwerk entfernen müßten, als einen “toten” unbrauchbaren Stein ‑‑‑‑  

Der Tempel duldet nur, was leuchtend werden will, denn was hier scheinbar in der Zeitlichkeit geschieht, ist ewigliches Werk der Ewigkeit, und was der Mensch davon vorerst gewahrt, ist nur das Wenige, das er in zeitlich‑irdischer Beschränkung fassen kann.‑‑  

Will nun ein Mensch des Tempels “Maßgerechtigkeit” erkennen, so wie der “Eckstein” sie gebietet, der, den Kundigen bekannt, im Fundamente ruht, so wird er jenes hehre Bauglied suchen müssen, das nach Außen Ausdruck Allerinnerstem verleiht. 

Wenn dieser Mensch sich selbst bereits berechtigt hat zum Finden, so wird sein Suchen ihn zur Säule führen, die, fest auf dieser Erde Boden stehend, ‑ ragend‑tragend ‑ sich erhebt um aufzunehmen, was von oben sich auf sie herniedersenkt, ‑ Last und erhabene Krönung zugleich! 

Das innerste Mysterium des Tempels zeigt sich hier der Vorahnung von ferne, ‑ auch wenn es erst dann zu erleben ist, wenn der Mensch, als “Baustein” eingefügt, mit seinem ganzen Sein ein Teil des Tempels wurde, ‑ auf ewig leuchtend im lebendigen Licht ! ‑ ‑ ‑

 Bô Yin Râ

 

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09.11.2012