Keine Religion
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Brauchen wir eine neue Religion
(von Bô Yin Râ. Aus der Zeitschrift "Der Türmer" erschienen im Januar 1922)

Unter den Lesern dieser Zeitschrift sind meines Wissens nicht wenige, denen mein Autorenname bereits durch meine Bücher bekannt geworden ist.

Wenn mir nun der verdienstvolle Herausgeber die Möglichkeit bietet, auch von dieser Stelle her an der Erneuerung und Vertiefung seelischen Lebens mitzuwirken, so bedeutet das für mich eine nicht geringe Freude.

Schon lange war es meine Absicht, vor einem religiös ernst gestimmten und verstehenden Kreise, wie ich ihn gerade unter den Lesern dieser Blätter zu finden glaube, die Frage zu erörtern, die ich dieser kleinen Abhandlung als Ueberschrift gab; und ihre Erörterung dürfte denn auch denen nicht ganz unwichtig sein, für die eine solche Frage, aus tiefstem inneren Fühlen heraus, von vorneherein beantwortet ist.

Ich sehe Bestrebungen in dieser Zeit am Werke, die zwar von den edelsten Motiven her geleitet sein mögen, deren Auswirkung mir aber gerade für Deutschland verhängnisvoll zu sein scheint; und es wird mir die Pflicht, von meiner durch keinerlei konfessionelle Bindung bedingten seelischen Einschau her vor einer Gefahr zu warnen, die viele bedroht. 

Die Welle geistiger Erneuerung, die schon lange vor dem Kriege einzelne Schichten Deutschlands ergriffen hatte, wächst zusehends zu einer mächtigen Woge an, von der sich nun auch gar manche tragen lassen, die vorher in den stagnierenden Wassern religiöser Gleichgültigkeit ihr Behagen fanden. 

Die aufrüttelnden Erlebnisse des Krieges (1914/18 Anm. WE), das unsägliche Leid und die äusserste Not der Kriegsjahre, die ja im Grunde trotz aller „Friedens“-Verträge noch nicht beendet sind, mögen immerhin das Ihrige dazu beigetragen haben, dass die Seelen sich mehr und mehr auf Inneres und Allerinnerstes besinnen; aber es wäre doch eine arge Täuschung, wollte man alles Streben nach religiöser Vertiefung lediglich aus diesen Momenten heraus erklärbar finden und somit allem Suchen nach geistigen Gütern in dieser Zeit nur eine vorübergehende Bedeutung zuerkennen.

Ich sehe weitaus Tieferes hier am Werke, und es dürfte weit eher erlaubt sein, das schwere Erleben, das der Krieg so vielen bachte, als ein zwar schmerzendes, aber letztlich doch zur Gesundung führendes Heilverfahren ewiger, leitender Mächte anzusehen ….

Vielleicht war man doch, bevor diese harten Tage kamen, oft allzusehr geneigt, zu übersehen, dass die weltgeschichtliche Aufgabe eines Volkes nur dann zu lösen ist, wenn jeder einzelne, der ein Glied dieses Volkes bildet, durch eigene seelische Vertiefung so gefestigt wurde, dass der ganze Volkskörper aus seinen tiefsten Wurzeln heraus jene überschüssige Gesundheit erlangen kann, die der Welt einst Heilung bringen können.

Das dunkle innere Ahnen, dass dem so sein, lässt heute die neue Sehnsucht nach religiöser Vertiefung in vielen keimen und wachsen. 

Wird diese Sehnsucht zur Tat und tritt sie gestaltend ins Leben des Alltags ein, nicht nur für Sonn- und Feiertage reserviert, - so kann sie wahrhaftig Deutschland zu jenem Aufstieg führen, den seine erleuchtendsten Geister ihm wieder und wieder prophetisch zeigen zu müssen glaubten, und nach dem es heute mehr als je verlangt.  

Es wird dann einem Aufstieg entgegengehen, den keine Erniedrigung mehr bedroht.- 

Noch aber besteht die Gefahr, dass diese Sehnsucht sich verwirren lässt und auf irre Wege führt.. 

Man fühlt die Notwendigkeit neuer, vertiefter Religiosität und lässt sich nun gar vielfach verleiten, statt dessen nach einer neuen Religion zu suchen.  

Selbst bis in tiefgläubige Kreise christlicher Frömmigkeit hinein trägt moderne Zweifelsucht ihre Unheilsaat und möchte Seelen beirren in ihrem Vertrauen an die ewige Lebenskraft dessen, dem gerade deutsche Art ihr bestes dankt. 

Historische und philologische Kritik wurden, als die ungeeignetsten Instrumente, angesetzt, um einen Boden zu unterwühlen, der nur mit den subtilen, seismographisch empfindsamen Organen der Seele untersucht werden darf, will man seine überzeitlichen Quelladern finden, die wahrlich tiefer liegen als die lose Krume, die oft gutgläubiger wissenschaftlicher Forschungseifer zu untersuchen vermag. 

Nun steht man verwirrt auf dem an manchen Stellen arg verwüsteten Lande, der einst der Seele blühender Garten war, und wagt es fast nicht mehr, daran zu glauben, dass neues Leben ihm entspriessen könne.

Zugleich aber finden sich eilfertig gar manche Karrenführer ein, die Erdreich aus fremden Zonen bringen mit der oft durchaus ehrlich gemeinten Versicherung, dass erst diese fremde Erdkrume, die sie von fernher holten, an ihrem Ursprungsort nur deshalb fruchtbar war, weil sie aus den gleichen tiefen Quelladern ihre Kraft empfing, aus der auch die Blumen der Seele ihr Nahrung zogen, die aus dem Boden sprossten, den sie jetzt verschütdten möchten. 

Diese allem seelischen Leben gemeinsame Quelladern gilt es aufzusuchen, wenn man wahrhaft zu einer Verwurzelung mit dem ewigen Seinsgrund gelangen will, und sie sind dort aufzusuchen, wo sie seit Jahrhunderten sich für die deutsche Seele wirksam zeigten, die deutsche Seele, deren schönstes Vorrecht ihrer Eigenart darin besteht, dass sie nichts eigentlich „Fremdes“ auf dieser Erde kennt, dass sie zu jeder anderen seelischen Eigenart Zugänge findet, die aber nur allzu leicht bereit ist, völlig zu vergessen, dass sie alles fremde Saatgut nur auf eigenem Boden zu eigener Ernte heranreifen sehen kann. 

Mit anderen Worten: Es bedarf durchaus keiner anderen Religion, um den tiefsten Quellgrund alles Seins der Seele zu erschliessen, sondern es braucht nur die glühende Inbrunst der Seele selbst, und sie wird von der Stelle aus, an der sie eingewurzelt ist, ihre Wurzelfasern immer tiefer in das ewige Herz des Seins zu versenken vermögen, weit sicherer, als wenn sie sich selbst erst in anderen Boden verpflanzen wollte, mag dieser Boden ihr auch erfüllter erscheinen von geheimer Kraft, als der, aus dem sie selbst ihres einstigen Keimens Nahrung zog. 

Deutscher Seelenart ward das Christentum zum eigenen Blütengarten, und christliche Glaubensglut ward zur deutschen Frömmigkeit. 

Noch haben zu allen Zeiten nur einzelne Deutsche den Mut gehabt, bis zu den innersten Mysterien vorzudringen, die sich in dieser deutschen Frömmigkeit, diesem deutschen Christusglauben, dieser deutschen Christusliebe bergen. Es ist hier mehr Mysterium verborgen, als die meisten ahnen mögen! 

Kein echter Mysterienkult der alten Zeiten, so ehrwürdig er auch sein mag, reicht völlig an dieses Mysterium deutscher Frömmigkeit heran, und selbst die weiseste Erkenntnis alten indischen Denkens führt kaum zu den Vorhallen dieses Heiligtums, ja das meiste all solch erdachter Weisheit schuf nur Wolkenträumen phantastische Brücken aus luftigem Gespinst, Brücken, die niemals in Wirklichkeit eines Menschen Fuss betreten könnte. 

Alle letzte Erkenntnis aber gilt einer Wirklichkeit, vor der alles Denken und Träumen jeglichen Wert verliert und ihn nur wiedergewinnen kann, nachdem es diese Wirklichkeit zu seinem Ausgangspunkt zu machen vermag.

Das Mysterium deutscher Frömmigkeit ist nichts anderes, als die für die deutsche Seeleneigenart deutbarste Darstellung dieser kosmischen Wirklicheit auf unserer Erde, und in der Sage vom heiligen Gral ist sie am deutsamsten geworden.  

Kein Symbol, sondern ein Abbild irdisch verankerter geistiger Wirklichkeit ist hier gegeben. 

„Suchet, und ihr werdet finden!“ Suchet und ihr werden gefunden werden. 

Aber suchet nicht etwa in alten und neuen fremden Kulten, sondern lasst erst alles, was ihr in anderen Zeiten und Völker heiliger Lehre findet, nur zu Erhellung des eigenen Weges dienen! 

Euer Christenglaube ist das gegebene Feld des Suchens und Findens für euch! 

Euer Christenglaube ist keine Ideengebilde und kein Märchenwahn. 

Euer Christenglaube entspricht einer Wirklichkeit, die man wohl auch mit anderen Namen nennen kann, als die euch vertraut geworden sind, zu der ihr aber am ehesten ohne Irrweg hinfinden werdet, wenn ihr auch alles, was andere Darstellung dieser gleichen Wirklicheit zu sagen hat, in die euch vertraute Sprache übersetzen lernt. 

Wehe denen, die den Glauben an diese Wirklichkeit als „Wahn“ verlachen! 

Wenn sie euch aber sagen: „Das Christentum hat heute aufgehört, eine wahre Lebensmacht zu sein; wir müssen nach anderer Offenbarung Ausschau halten!“, dann findet den Mut zu einer Antwort, die lauten möge:

Nicht das Christentum ist tot, sondern wir, die wir uns Christen nennen, standen nicht genug in seinem Leben

Wahrlich, das Christentum ist noch gar jung, und viele Jahrhunderte mögen noch vergehen, ehe es seine volle Entfaltung dereinst erreicht! 

Ich glaube, dass deutscher Frömmigkeit bei seiner allmählichen Entfaltung eine Weltaufgabe winkt. 

Es wird das Wesen der Christentums sein, das die Welt einst heilen kann. Das Christentum in seiner seelisch geheimnisvollsten Darstellung. Es wird die Frömmigkeit der Deutschen sein, die ihrem Wesem sein kosmisches Gepräge gibt, die alles Tun des deutschen Menschen durchdringen und veredeln muss, genährt aus Tiefen, die kein Forscherauge je erspäht, die nur der Inbrunst der Seele sich eröffnen und ihr die Kräfte ewigen Lebens spenden. 

Die Arbeit des Alltags wird dann zum Gottesdienst werden, und den Hierachien der Ewigkeit wird ein wahrhaft würdiges Ebenbild in der Gliederung menschlicher Weltaufgaben erstehen. 

Weder müde Weltflucht, noch raffgieriges Wühlen nach den Schätzen, die Rost und Motten verzehren, wird der Menschheit Gedeihen bringen. 

Nicht mir Mordmaschinen wir die Freiheit der Völker jemals zu sichern sein.

Nur aus der Wiedergeburt der Seele kann Heil erwachsen, und hier wird deutsche Seeleneigenart  allen Völkern der Erde noch zum Segen werden!

Bô Yin Râ

An diesem Artikelwurden einige kleine, redaktionalle Aenderungen  und kleine Kürzungen vorgenommen damit der in der damaligen Zeit und für die damalige Zeit geschriebene Text besser in die heutige Zeit passt. (Aenderungen sind kursiv gesetzt) WE
 

 

 

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09.11.2012