Der Goldregen
Vor alten Zeiten stand es einmal so schlecht in der Welt, dass alle
Menschen stöhnten und voll Wehklage waren.
Alles war grau und trüb und die Freude kannte man nur noch vom
Hörensagen.
Da beteten die Menschen zu ihrem grossen Gotte
Re—Nai-Schu, dass er sich ihrer unerträglichen Leiden erbarmen möge.
Aber Re—Nai—Schu hörte sie wohl nicht.
So beteten sie denn weiter, vierzig Monate und drei Tage …
Als es aber an jenem Tage Abend geworden war und alle wieder voll
Trauer ihren Schlaf suchen wollten, siehe, da erhob sich am Rande des
Himmels ein kleines Wölkchen von der Farbe einer Zitrone.
Es stieg höher und höher und nahm zu an Grösse, so dass es den ganzen
Himmel überdeckte.
Zugleich kam eine geheimnisvolle Freude über alle Menschen und sie
glaubten, dass Re-Nai—Schu jetzt wohl erscheinen würde.
Re—Nai—Schu erschien nicht, sondern die Wolke löste sich auf in
winzige Tröpflein, die wie ein Licht— und Feuerregen zur Erde fielen.
Wo aber dieser Regen fiel, da ward. alles leuchtend.
Die Bäume des Waldes wurden golden und die Felder und Wiesen glänzten
und flimmerten von Gold.
Die Bettler in ihren Lumpen erstrahlten wie Könige im goldbrokatenen
reichen Krönungsgewand.
Das Wunderbarste aber war, dass von allen Menschen alles Leid zur
Stunde floh, so dass Jauchzen und frohes Leben fortan die Erde
erfüllte.
Dies währte nun an die dreihundert und neunzig Jahre. Damals jedoch
standen einige auf und sagten:
“Uns genügt nicht, zu besitzen und glücklich zu sein“
“Wir sehen wohl, dass dieses heilige Gold nicht nur Schönheit allen
gibt, sondern auch alles auf geheimnisvolle Weise nährt und am Leben
erhält, - allein wir wollen wissen, weshalb alles so
ist.“
Eines Tages sprachen diese Grübler untereinander und einer machte den
Vorschlag und sagte:
“Wir wollen von dem Golde nehmen, es in den Schmelztiegel tun und es
peinigen im Feuer, bis uns seine Wesenheit kund werden wird.“ Und sie
taten also …
— Da entstand am Himmel alsobald eine grosse, undurchdringliche
Finsternis und die Erde bebte, dass die Grundmauern der Tempel
zerrissen wurden.
Als aber das Beben vorüber war,
da lag die Welt grau und trübe und die Menschen fühlten sich elend,
wie nie zuvor.
Alle Schönheit war von der Erde geflohen.
Jammer und Not herrschten wieder
und werden weiter herrschen, wenn nicht Re—Nai—Schu einen neuen
Goldregen schickt.
Vorher aber werden die Menschen wohl wieder vierzig Monate darum
bitten müssen…
Wer weiss aber, ob Re-Nai—Schu einen neuen Goldregen schicken wird,
bevor nicht jene gestorben sind, die keine Ruhe finden im Glück,
solange sie nicht wissen, warum das Glück die Menschen
glücklich macht —
B.Y.R.