Im
Spiegel
(Eine notwendige Aufklärung)
Von Bô Yin Râ
Als Ende 1917 Gustav Meyrinks phantastischer Roman „Walpurgisnacht“
erschienen war, wurde ich von allen Seiten mit Briefen bestürmt, in
denen man großer Befremdung darüber Ausdruck
gab, dass in einem Kapitel des Romans, in stark betonter Weise,
Äußerungen zu finden seien, die doch, trotz dem phantastischen Rahmen,
allzudeutlich ihr Herkommen aus meinen,
einige Jahre vorher veröffentlichten Einzelbändchen: „Das Licht
vom Himavat“ und „Der Wille zur Freude“ verrieten.
Ähnlicher Unmut. scheint
sich auch jetzt wieder einzustellen, nachdem in einem Nachruf für
Gustav Meyrink, im letzten Heft der „Säule“, gerade die hier in
Betracht kommenden Textstellen des erwähnten Romans besonders
hervorgehoben worden waren.
Da ich aber unmöglich
zulassen kann, dass üble Mutmaßungen, die ich zu entkräften vermag,
dem Namen Gustav Meyrinks zu nahe treten, während ich andererseits
mich nicht in der Lage sehe, in privater Korrespondenz die
unberechtigten Meinungen zu berichtigen, so bleibt mir nichts anderes
übrig, als hier vor den gleichen Lesern, die durch die Zitate des
Nachrufs zu irrtümlichen Annahmen gelangten, die Zusammenhänge
aufzuklären.
*
Veranlasst durch die
Lektüre meiner oben genannten Schriften hatte mich Meyrink im Frühjahr
1917 an meinem damaligen Wohnort, der etwa zehn Stunden
Schnellzugsfahrt von dem seinen entfernt lag, aufgesucht, und wir
waren uns in mehrtägigen intensiven Gesprächen über den Inhalt meiner
Schriften menschlich freundschaftlich nahegekommen.
Die Folge war, dass ich ihm, auf seinen Wunsch hin, gerne das
Recht einräumte, alles, was ihm aus diesen Gesprächen in der
Erinnerung haften bleibe, sowie auch alles, was in meinen Schriften
niedergelegt sei, unbedenklich als literarisches „Material" zu
verwerten, wenn es ihm in seinen damals beabsichtigten und nur zum
Teil später ausgeführten neuen Romangestaltungen, von denen er mir
viel erzählte, gerade besonders gelegen käme.
Sein erster, seit unserem
Bekanntwerden, noch zu Ende des gleichen Jahre‘s, erschienener Roman
war „Walpurgisnacht“. In dem Kapitel „Im Spiegel“ lässt
er den unheimlichen Somnambulen „Zrcadlo“ auftreten, aus dem zuerst „das
innerste Ich“ des Kaiserlichen Leibarztes Flugbeil, diesem,
während der Befragung des in Trance Befangenen, entgegen- spricht, und
die in dem kürzlich erschienenen Nachruf zitierten Gedanken über die
Freude äußert, die ja deutlich genug meine Abhandlung „Der
Wille zur Freude“ als Anregungsquelle verraten.
Später spricht dann aus dem
Somnambulen eine andere Stimme, die sich als die eines
gleichzeitig lebenden Weisen, eines „Mandschu“ zu
erkennen gibt, und allerlei Dinge über das „Ich“ sagt,
die eben so deutlich auf meine Schrift: „Das Licht vom
Himavat“ bezogen sind, weit mehr noch aber Reminiszenzen an das im
damaligen Frühjahr zwischen Meyrink und mir Gesprochene
darstellen.
Meyrink war durchaus zur Verwendung des „Stoffes“, um den es
sich künstlerisch für ihn handelte, berechtigt, aber die Art
der künstlerischen Verwendung gerade des von mir zu ihm
Gesprochenen erschien mir nachgerade etwas zu sehr „freie
Interpretation“, so dass ich ihn alsbald bat, doch lieber zukünftig
auf mich als „literarische Stoffquelle“ verzichten zu wollen.
Meines Wissens ist dann
auch keine Zeile mehr in Meyrinks weiterem Schaffen entstanden, deren
Anregung irgendwie auf mich zurückgeführt werden dürfte, wie ja auch
andererseits die Romane „Der Golem“ und „Das grüne Gesicht“
längst erschienen waren, bevor ich Meyrink zum erstenmal sah.
*
In späteren Jahren hat sich
übrigens Meyrink mir gegenüber mehrfach sehr entschieden dahin
ausgesprochen, dass er „nicht im Traum“ daran denke, die in seinen
okkulten Romanen behandelten Lehren und Erlebnisse selbst als richtig,
oder als erlebensmöglich anzusehen, obwohl er für alles in seiner
Bibliothek literarische Belege, zum Teil sehr seltener Art, besitze.
„Als Romanschriftsteller“ behalte er sich jedoch vor, das
Material zu verarbeiten, das ihn „besonders reize“, wobei er jede
eigene Verantwortung für die aus literarischen Quellen entnommenen
und von ihm künstlerisch dargestellten Lehren ablehne. Seiner
Auffassung nach, sei es jedoch „einfach künstlerische Forderung“,
dass der Autor eines Romans oder einer Erzählung den Eindruck erwecken
müsse, als sei er selber überzeugt von den Dingen, die sein
Stoffgebiet ausmachen. Ihm falle es leicht, diese Forderung zu
erfüllen, da er ja tatsächlich von der Existenz einer, dem
Menschen normalerweise unzulänglichen, okkulten Welt überzeugt sei
deren Einflüsse er oft sogar beim Schreiben seiner Sätze spüre.
Man wird dem Gesamtwerk des
dahingegangenen Dichters nur dann gerecht, wenn man die in seinen
Romanen und Erzählungen stofflich mitverwendeten Lehren
nur auf die Gestalten bezieht, denen er diese Lehren in den Mund legt.
Er selbst aber wollte sich niemals etwa als Lehrer okkulter oder
mystischer Anschauungen, sondern als freier Künstler beurteilt
sehen, dem jede Stoffbenützung erlaubt ist, durch die er in
künstlerischer Gestaltung sein Werk bereichern kann.
Die in seinem
künstlerischen Schaffen deutlich erkennbare Tendenz ist
bei Meyrink in seinem ganzen dichterischen Werk die gleiche:
— Aufstochern der Gedankenwelt des „Spießers“ aller Schichten, Klassen
und Kasten, den er in den früheren Erzählungen ingrimmig verhöhnt,
während in den okkult-phantastischen Romanen der ganze fragwürdige
Unterbau einer allzuselbstgewissen dünkelbeladenen
Weltanschauung in grellen Blinklichtern bespiegelt wird.
Allen, die Meyrinks
dichterische Stärke so wenig erfasst haben, dass sie ihm, — dem
phantasiereichsten Menschen der mir je begegnet ist, — zutrauen
können, er sei zu heimlichen Anleihen bei Anderen genötigt gewesen,
kann ich mit jeder Gewissheit sagen, dass seine stets übererregte
Phantasie wahrlich um Erfindungen niemals verlegen war. Wenn er
dennoch immer Ausschau hielt nach ungewöhnlichem Tatsachenmaterial und
nach Bestätigung seiner Ahnungen im Zeugnis solcher Menschen, bei
denen er ein ungewöhnliches Erleben vermuten durfte, so waren es rein
künstlerische Gründe, die ihn dazu bestimmten, und nur
künstlerische Empfindung konnte für ihn maßgebend sein, wenn er
Berichte über nicht alltägliches Erleben auf
seine Art in sein Schaffen verwob.
Dass die Beziehungen
zwischen Meyrink und mir, wie bekannt, allmählich in eine gewisse
Entfremdung übergingen, war gleichsam automatisch eintretende Folge
der übergroßen Verschiedenheit in der beiderseitigen Auffassung
geistiger Dinge, die ihm nur Gegenstand künstlerischer Bearbeitung
blieben, während ich ihnen nie anders als unter höchster Ehrfurcht
nahen kann, da sie mir ja erfahrungsgewiss sind.
Bô Yin Râ